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06 Facing Fears: Warum wir durch die Angst gehen müssen


von Achim Feige

Liebe Transformers, liebe Co-Creators, liebe Gestalterinnen und Gestalter einer neuen Zeit!

Nach dem Sensemaking, dem Sinn-Bilden aus Dir selbst heraus, willst Du weiterkommen. Wer ein Transformative Leader werden möchte, muss über sich hinauswachsen.

Aber wie? Wo geht es jetzt vorwärts?

Auf diese Frage gibt es eine klare Antwort: Das ungehobene Potenzial liegt immer da, wo wir noch blockiert sind. Wo Ängste im Weg stehen, seien sie bewusst oder unbewusst.

Deswegen müssen wir dort hinschauen, wo es weh tut, genau dort hingehen, genau damit arbeiten. Vieles, was im hellen Tageslicht liegt, haben wir nun schon erfahren und eingebaut in unser Denken und Handeln. Die größten Entwicklungspotenziale liegen nun im Dunkeln.

Damit meine ich das, was man nicht gern ansieht. Ich meine noch gar nicht die verdrängten Anteile der Psyche, von denen Sigmund Freud spricht. Sondern es gibt auf dem ganz alltäglichen Level viele Dinge, die wir ausblenden oder meiden. Wie oft sagt man: “Das passt nicht zu mir, das lehne ich ab, das will ich nicht!” – Doch genau das, worum es dabei geht, sind meist abgespaltene Anteile von Dir selbst, oder alte Glaubenssätze, die uns in Wirklichkeit im Weg stehen.

Du kannst Ängste benutzen und umwandeln. Du musst nicht hilflos vor ihnen stehen und Du musst sie auch nicht verstecken. Face your fears! Das ist jetzt die große Aufgabe.

Ich weiß, dass “Angst” ein großes Wort ist und manch einer denkt vielleicht dabei etwas wie: “Ich habe doch keine Angst, ich bin gesund, ich funktioniere.” Und ja, Du hast hoffentlich keine ausgewachsene Angst- oder Panikstörung (die Zahlen dieser Störungen in der Gesellschaft gehen leider in die Höhe, zurzeit geht die Forschung davon aus, dass ein Viertel der Menschen mindestens einmal im Leben eine Angststörung erlebt). Aber kleine Ängste, kleines Vermeidungsverhalten und eingeschliffene Strategien, sich diesem oder jenem Thema einfach nicht zu nähern – das alles haben die meisten von uns.

Die Rolle der Angst ist, uns stabil und sicher zu halten, das ist ihre evolutionäre Aufgabe. Im Gehirn ist Angst mit der Amygdala assoziiert, einer kleinen Struktur im limbischen System, welche die Emotionen reguliert. Die Amygdala ist sozusagen der Rauchmelder des Gehirns. Sie lässt mich spüren: Ich bin in meinem Umfeld sicher. Solange sie grünes Licht gibt, ist man entspannt und fühlt sich gut. Was, wenn sie Alarm schlägt? Angst! Dann hat man die Wahl zwischen den berüchtigten Angst-Reaktionen, die wie von selbst ablaufen und uns nur noch die Wahl zwischen Erstarrung, Flucht, und Kampf (im Alltag meist Wut) lassen. So wird es dem Gehirn jedenfalls gehen, wenn es nicht bewusst mit der Situation umgeht.

Der bewusste Umgang wäre aber möglich – Du kannst das durch ein wenig Training erreichen. Denn wir sind nicht im Urwald und nicht auf der Jagd. Wir sind im Unternehmen, im Kollektiv, im Projekt – und eigentlich sagt die Amygdala, wenn sie sich bei uns zu Wort meldet, in der modernen Welt doch nur dies: “Achtung! Hier kommt etwas Neues!

Mehr ist es nicht, was uns zurückschrecken lässt, was Angst macht, was man am liebsten vermeiden möchte: Das Neue. Das Ungewohnte. Allerdings liegt auch genau dort Dein Potenzial. Das was dort verborgen liegt, kannst Du nutzen. Du musst es nutzen, wenn Du nun weiter vorwärts willst.

Die Angst ist wie ein Seismograph, der Dir zeigt, wo es interessant wird.

Wir wollen die Angst nutzen und transformieren – als Motor für unsere Entwicklung.

Es gibt einen Bereich, von dem man das besonders gut lernen kann. Das ist der Sport. Denn die Spitzensportler tun das schon immer. Sie müssen an ihre Angst gehen, an ihre Grenzen gehen. Bei ihnen ist es immer das erste Ziel, über sich hinaus zu wachsen. Bei ihnen fangen alle klein an und tasten sich dann immer näher an die Meisterleistungen heran – im Sport geht das überhaupt gar nicht anders. Du erweiterst stetig Deine Fähigkeiten. Schritt für Schritt. Mach es wie eine Spitzensportlerin: Du schaltest immer neue Elemente frei. Und dann irgendwann bist Du auf einmal ganz woanders, eine ganze Ebene weiter, und kannst Ungeahntes leisten.

Unser Feind auf diesem Weg ist die Angst. Und unsere Feinde auf diesem Weg auch ihre kleinen Geschwister, die negativen Glaubenssätze. Das sind Überzeugungen, die stillschweigend bestehen, die wir gar nicht mehr hinterfragen. Vermeintliche Selbstverständlichkeiten, wie etwa: “Ich denke, wenn ich nicht 80 Stunden arbeite, bin ich kein guter Performer.” Oder: “Ich habe Angst, wenn ich nur 40 Stunden arbeite, dann werde ich als Unterperformer wahrgenommen.” Diese Überzeugungen sitzen tief. Sie scheinen beinahe nicht zu besiegen. Deswegen spricht der Harvard-Professor und Entwicklungspsychologe Robert Kegan von einer “Immunity to Change”, die viele sich leider angeeignet haben. Einer Immunität gegen den Wandel. Aber der Wandel ist kein Virus, sondern etwas Gutes, wenn wir ihm ins Auge sehen und ihn steuern.

Das Buch von Kegan, in dem er darüber schreibt, ist in den USA berühmt geworden, ein in Fachkreisen viel zitierter Bestseller, der große Aufmerksamkeit im modernen Top-Management erregt hat. In Deutschland dagegen wurde es nicht bemerkt, das Buch ist nicht einmal übersetzt. Dabei ist diese Idee sehr wichtig für uns: Diese Immunität dem Wandel gegenüber ist so schwer zu überwinden, weil sie oft im Unbewussten funktioniert. Das heißt: Wir merken gar nicht, wie wir uns selbst im Weg stehen. Wir müssen unser eigenes Betriebssystem hacken, um weiter zu kommen.

Drei Dinge sollten wir dazu verstehen:

1. Was die circuits of fear sind im Gehirn sind.

2. Was Mut eigentlich ist.

3. Was ein Growth Mindset zu haben bedeutet.

Die Schaltkreise der Angst (1.) habe ich eben schon erwähnt. Sie sind der evolutionär uralte Reflex, der uns genau drei Optionen lässt: Totstellen, Flucht, oder Kampf. Diese Mechanismen könnten sehr sinnvoll sein, vor allem im Tierreich kann man sie in Versuchen heute noch gut beobachten. Aber wir sind eben keine Meerschweinchen und keine Wölfe mehr. Deswegen geht es darum, (2.) Mut zu beweisen. Und das heißt in meiner Sicht einfach nur: Muster aufbrechen. Sich trennen von den scheinbar Sicherheit stiftenden Mechanismen, die uns so lange gelenkt haben. Und hier kommt (3.) das Growth Mindset ins Spiel. Frag Dich, wie Deine Denkweise, Deine Mentalität, eigentlich strukturiert ist. Festgelegt? Oder flexibel? Die Denkweise, die dich begleitet, auch im Unternehmen, beruht entweder auf festen Ideen (fixed mindset), oder ist sie bereit für Wandel und Erweiterung (growth mindset). Letzteres brauchen wir.

Denk an Deinen Punkt auf unserer großen Wanderung. Du bist aufgestiegen (Waking Up), Du hast auf dem Gipfel tiefe Einsichten gefunden (Exstasis). Nun steigen wir wieder ab und verbinden das Gelernte mit unserem Denken, damit es dort fest verankert wird und wir als neue, gewachsene Personen unten ankommen (Growing Up).

Es wirkt wie ein Risiko, dass man die ganze neue Energie nun freilassen soll, die sich auf dem Gipfel angekündigt hat. Denn das ist, wie gesagt, das Neue, und das macht Angst. Was ich gesehen habe, kann mir Angst machen. Welche großen Veränderungen sich da angekündigt haben! Das zwingt Dich dazu, die alten Pfade zu verlassen und die alten Muster aufzugeben. Und das ist nicht leicht. Die neuen Einsichten sind nun also da, aber eben auch die alten Hemmungen, das alles umzusetzen.

Es kann Angst machen, falls Du feststellst, dass dein bisheriger Job einfach nicht mehr passt. Es kann auch die Angst aufkommen, dass deine Beziehung nicht mehr hält. Die Angst, dass Du Sicherheit aufgeben musst. Das alles ist nur allzu verständlich! Denn das Gehirn liebt das, was es kennt – selbst wenn es belastend ist.

Wie gibst Du Sicherheit auf? Du musst dich trainieren, um dich in Unsicherheit wohl zu fühlen. Ambiguitätstoleranz entwickeln. Ich meine, der Schlüssel dazu ist: Du musst Dein Selbstwertgefühl nach innen legen, nicht von außen holen.

Dazu helfen alle der hier bereits genannten Techniken.

Die Kunst ist, mit der Angst zu spielen, sie zu schätzen. Das heißt nicht, sie zu ignorieren! Das wäre ein alter Bergsteigerfehler. Bleibt wach! Nimm die Angst wahr! Nimm Deine einschränkenden Glaubenssätze wahr, spüre hin, wovor wollen sie dich schützen? Meist ist es etwas, durch das Du genauso gut hindurchgehen kannst. Arbeite an der Grenze. Sonst kommst Du nie höher. Willkommen im Neuen! Jetzt beginnt meine Veränderung. Using Fear statt fearing fear. Das ist der Mindshift.

Ich gebe Dir heute fünf Tipps, das Du auf dem Weg als nächstes tun kannst:

  • Die Technik der Kleine Schritte. Du wirst nicht gleich alles erreichen – im Gegenteil, es kann eher noch neue Angst machen, wenn das Ziel allzu weit entfernt ist. Das ist auch gar nicht nötig. Ein kleiner Erfolg – fünf Minuten Laufen, ein schwieriges Telefonat führen, die ersten zwei Seiten dieses Papers auf dem Schreibtisch lesen – reicht oft. Denn die Fortschritte sind danach exponentiell. Man muss ins Machen kommen, jeden Tag, dann entsteht der Rest von selbst.
  • Atmung gegen den Stress. Schau Dir noch einmal die Boxatmung an (etwa hier). Sie ist nur eine der Techniken, um dein Nervensystem mit Atmung zu regulieren – aber sie ist die einfachste und effektivste. Stress, die Vorstufe der Angst, stellt sich oft ein, ohne dass wir es merken. Bring dich runter, auf einen Level, von dem aus Du überlegt und cool handeln kannst! Das kann vor einem großen Meeting oder einer Präsentation wahre Wunder bewirken.
  • Prepare! Nutze mentales Training. Im Leistungssport kann manch einer schon den verbesserten Aufschlag im Tennis oder den neuen Wurf im Basketball, ohne viel auf dem Platz gestanden zu haben: Ein großer Teil des Trainings findet im Kopf statt. Vor einer großen Aufgabe, die vielleicht neu ist oder Angst macht, kann man sich zum Beispiel den idealen Ablauf vorsprechen. (Wie das im Sport schon lange gemacht wird, steht kurz gefasst hier.)
  • Trainiere! Wenn Du Deine Angst überwindest und Dich an das Neue wagst, wird nicht alles sofort gelingen. Das ist normal. Probiere aus, übe Dich in Trial-and-Error, immer wieder. Baue das Üben und Besserwerden in Deine Routine ein. Wir denken in Unternehmen zu oft, dass alle alles schon können müssen. Das ist weder sinnvoll noch nötig.
  • Hol Dir Unterstützung. Vergiss nicht: Du bist nicht allein! Gerade Managerinnen und Manager sind oft Einzelkämpfer. Das liegt daran, dass es lange als Schwäche galt, um Rat zu fragen. So denken wir heute nicht mehr. Wer sich helfen lässt, wird stärker und setzt sein Potenzial frei.

Wenn du nicht durch die Angst gehst, veränderst du dich nicht. Dann bleibt Stillstand. Dann schaffst Du vielleicht eine gewisse Verfeinerung in deinem Business, aber keine echte Veränderung. Nur wenn Du Deine Glaubenssätze überwindest, wirst du langsam ein anderer Mensch. Wenn  Du immer höhere Gewicht stemmst, verändert sich ja auch dein Körper – das ist mit dem Geist analog.

Dein Achim